Sonnige Steppe am Oberrhein
Stellen Sie sich ein 70 Hektar großes Gelände vor, noch nie bebaut, eben und fast baumlos, mitten in einer süddeutschen Großstadt, umringt von Hochhäusern, dem städtischen Krankenhaus und Wohngebieten, mit Straßenbahn-Anschluss, zehn Minuten zur Innenstadt. Eine Goldgrube für Immobilienhaie – und für die öffentliche Hand als Eigentümer. Die Großstadt ist Karlsruhe und das Gelände wurde als Notflugplatz für den Kriegsfall von den amerikanischen Streitkräften jahrzehntelang frei gehalten. Als die „Amis“ Anfang der 1990er Jahre abzogen, war die Frage, was dort geschehen würde.
Ein 20jähriges Ringen folgte, denn schon Jahre zuvor war von der Politik die Bebauung für Wohnen und Gewerbe gefordert worden, verbunden mit verkehrlicher Erschließung. Das Stadtplanungsamt äußerte sich 1991: „Der Alte Flugplatz schneidet … als große Lücke in den Karlsruher Stadtkörper ein“. Trotz zahlreicher Aufklärungsaktionen des BUND zusammen mit anderen Naturschutzverbänden über die europaweite Bedeutung für Flora und Fauna, den Stellenwert für die Frischluftzufuhr für die Stadt, zahllosen Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern von den Fraktionen bis zum Umweltministerium, bewegte sich lange Zeit nichts, obwohl der ökologische Wert des Alten Flugplatzes unbestritten war. 1996 fand ein Aktionstag „Die Wüste lebt“ auf der Fläche statt, der großen Anklang in der Bevölkerung fand. Die Mehrheit des Gemeinderats lehnte es dennoch ab, sich für die Unterschutzstellung einzusetzen. Schließlich reichte der BUND eine Beschwerde wegen Missachtung der Flora-Fauna-Habitatrichtlinie der EU in Brüssel ein und das zuständige Ministerium in Stuttgart räumte ein, dass das Areal die Kriterien für das europäische Konzept Natura 2000 erfüllt, nämlich der Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Pflanzen und Tiere.
Damit war die Tür zur Unterschutzstellung geöffnet, erwartungsgemäß nicht alle haben sich gefreut. Früher flogen hier Linienmaschinen in die ganze Welt, heute fliegen hier nur noch die Grabwespen, war aus dem Karlsruher Rathaus zu vernehmen.
Seit 2010 nun ist dieses savannenartige Gelände – das größte Sanddünen- und Sandrasengebiet Süddeutschlands – als Naturschutzgebiet und seit 2018 als europäisches Schutzgebiet ausgewiesen.
80 Vogelarten, 100 Nachtfalterarten und 280 Arten von Blütenpflanzen wurden hier festgestellt. Die größten Kostbarkeiten des Gebiets sind Braun- und Schwarzkehlchen, Baumfalke und Steinschmätzer sowie Rot- und Schwarzmilan. Gelegentlich ist der Bienenfresser auf Nahrungssuche zu beobachten. Viele der Pflanzenarten sind Spezialisten, angepasst an den sandigen und trockenen Boden. Wer kennt schon Namen wie Mausöhrchen, Bauernsenf oder Federschwingel? Ebenso spezialisiert und selten sind die Insekten auf dem Alten Flugplatz, deren Vorkommen die europaweite Bedeutung mit ausmacht. Kreiselwespe, blauflügelige Sandschrecke oder der Sandlaufkäfer gehören dazu.
Unter Federführung des Umweltamtes wird der Alte Flugplatz durch regelmäßige Maßnahmen erhalten und weiterentwickelt, dazu gehört z.B. die Beweidung mit Eseln. Viele Schulklassen und Privatpersonen übernehmen ehrenamtliche Aufgaben. Auf einem Rundweg können alle Besucher die einzigartige Weite und Stille mitten in einer Großstadt erleben.