Ortsverband Karlsruhe
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Stellungnahme zum Bebauungsplan „Gewerbegebiet Gottesauer Feld“, Karlsruhe-Neureut

Obwohl in der Öffentlichkeit bei der weiteren Flächenbebauung regelmäßig mit der Schaffung von „dringend benötigtem Wohnraum“ argumentiert wird, sollen hier nahezu zwei Drittel der Fläche mit Gewerbe bebaut werden. Dies ergebe sich aus „Deckung des Bedarfs aus der Gewerbeflächenstudie 2012/ 2021 mit einer größeren zusammenhängenden Fläche mit guter Anbindung zu überörtlichen Erschließungsstraßen“. Diesem Flächenfraß soll aber gerade die Bodenschutzklausel §1a Abs 2 BauGB Einhalt gebieten: die Umnutzung von landwirtschaftlich genutzten Flächen und Wald darf nur im notwendigen Umfang erfolgen, diese Umnutzung muss notwendig sein und muss begründet werden. In konsequenter Anwendung müsste damit die Um-nutzung der offenen Flur zum Ausnahmefall werden.
Die vorgelegte Begründung bezieht sich aber auf die günstigen topographischen Gegebenheiten und die Lage an der B36, nicht auf konkrete Investitionswünsche und erschein damit als eine sich selbst erzeugende Begründung mit dem Ziel des weiteren Wachstums.

Der von der UN seit über 30 Jahren (Erdgipfel (UNCED) vom 3. bis 14. Juni 1992 in Rio de Janeiro) angesagte und von Deutschland unterschriebene Transformationsprozess für ein mit Ressourcen sparsam umgehendes Wirtschaften wird konterkariert. Mit jedem Hektar zubetonierten Boden wird die landwirtschaftliche Fläche weniger, Lebensräume für die Natur und Erholungsraum für die Bevölkerung verschwinden.

Die vorgelegten Unterlagen sollen darlegen, dass die Errichtung eines 24 Hektar großen Gewerbegebiets mit bis zu 16 Hektar Vollversiegelung durch Dachbegrünung, Oberbodenauftrag auf bestehenden und zukünftigen Äckern sowie eine forstliche Maßnahme, die sich nicht von den ohnehin bestehenden Anforderungen gemäß § 14 Landeswaldgesetz abhebt (Bestockung mit standortgerechtem Wald) kompensiert werden können. Wenn dies zugelassen würde, wären einer zügigen Restversieglung verbleibender Grünflächen in Karlsruhe Tür und Tor geöffnet, die Wirksamkeit der Eingriffsregelung könnte damit als faktisch beerdigt angesehen werden.

Schutzgut Boden

Grundsätzlich: Die Ausgleichbarkeit von Eingriffen in das Schutzgut Boden ist in Frage zu stellen, einzig Entsiegelungsmaßnahmen können als unstreitige Aufwertung angesehen werden. Im vorliegenden Plan ist nicht einmal der Versuch zu erkennen, nach Potenzialen für die Entsieglung zu suchen.

Dachbegrünung

Der im Plan beschriebe Minimierungseffekt der Dachbegrünung ist tatsächlich als marginal zu betrachten, da das dünne (nur 12cm!!), tote vom gewachsenen Boden losgelöste Substrat niemals die vielfältigen Funktionen (Lebensraum, Wasserspeicher, Grundlage für Landwirtschaft, Biotope und Bäume, Kohlenstoffspeicher) des gewachsenen Bodens ersetzen kann. Die Vernichtung des Bodens widerspricht dem Ziel 15.3 in den SDG17 - Stopp der Bodendegeneration. Die Anrechnung von 2,4 ÖP/qm ist zu hoch. Die Entnahme der Zahl aus der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung (LUBW2012) ist auf Grund der Kritik an diesem Papier als fachlich nicht haltbar anzusehen (vgl. „Evaluation der Ökokonto-Verordnung“ von PAN Planungsbüro 2018).

Oberbodenauftrag

In Hinblick auf den Oberbodenauftrag ist zum einen der Bilanzierung zu widersprechen, inwiefern diese Berechnung in zutreffender Weise die Wirkungen des Eingriffs und der Kompensation ins Verhältnis setzt.
Wir widersprechen dem Fazit des Umweltberichts, dass der Eingriff in das Schutzgut Boden zwar erheblich sei, durch eine Mischung aus schutzgutbezogenen und schutzgutübergreifenden Maßnahmen innerhalb und außerhalb des Plangebietes ausgeglichen werden könne. Das Argument, die Bodenverbesserungsmaßnahmen (Bodenauftrag) würden den Eingriff in das Schutzgut Boden kompensieren trägt nicht, da der Boden als gewachsenes, mit Leben durchsetztes Gefüge auseinandergerissen und in seiner Funktion gestört wird. Die Funktionsfläche wird verkleinert, die humose Schicht wird nach Abtrag und Auftrag gestapelt.
Die Maßnahme Bodenauftrag wird beworben, dass damit landwirtschaftliche Nutzflächen verbessert würden. Im Bericht zur Flächensuche steht aber, dass auf der größeren Fläche 1 (8ha) „vergleichbare Bodenverhältnisse wie auf der Spenderfläche des Bebauungsplans Gewerbegebiet Gottesauer Feld anzutreffen sind.“ Hinsichtlich Bodenart und Leistungsfähigkeit sind die Böden der Fläche 1 „mit den Böden der Spenderfläche vergleichbar“. Der Oberbodenauftrag würde laut Bericht nur unter dem Gesichtspunkt „Gleiches mit Gleichem“ erfolgen. Eine Aufwertung findet damit also nicht statt und die Berechnung der Ökopunkte ist nicht zutreffend. Gleiches gilt für die kleinere Fläche 2 (2,45 ha). Deren Bodenverhältnisse entsprechen der Fläche 1 und damit auch der Spenderfläche des Bebauungsplans Gottesauer Feld. Die Unsinnigkeit der Planung wird mit der hohen Zahl an Lkw-Fahrten unterstrichen. Für Fläche 1+2 wären das insgesamt 1307 Fahrten. In welchem Verhältnis steht dieser gesamte Energieaufwand für die Errichtung des Gewerbegebiets zum Ziel, ein Gewerbegebiet mit möglichst niedrigem Energie- und Ressourcenverbrauch zu schaffen?

Zum anderen weist das Gutachten von Arguplan selbst darauf hin, dass Teile der Maßnahmenflächen für den geplanten Oberbodenauftrag als „sehr hochwertiger Sonderstandort für die naturnahe Vegetation (Bewertungsstufe 4)“ einzustufen sind. Hier ist ein naturschutzfachlicher Konflikt zu konstatieren. In LUBW1 (2012: 21) wird für Sonderstandorte für die naturnahe Vegetation eine naturschutzfachliche Beurteilung gefordert, nach der die Böden bei Extensivierung das entsprechende Potenzial zur Entwicklung einer naturnahen, schützenswerten Vegetation besitzen sollen. Aus den Unterlagen geht hervor, dass diese Flächen als Ackerflächen verpachtet sind. Das Entwicklungspotential einer naturnahen, schützenswerten Vegetation auf Ackerflächen ist nicht ersichtlich und eine naturschutzfachliche Beurteilung liegt nicht vor. Daher ist die Anrechnung dieser Flächen auf die Ökopunktebilanz nicht zulässig.
Gemäß Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müssen Kompensationsmaßnahmen die Voraussetzung erfüllen, dass die zugehörigen aufwertungsfähig und aufwertungsbedürftig sind.
Im Gegensatz dazu findet im vorliegenden Fall eine Vernichtung naturschutzfachlicher Potenziale statt. Die Voraussetzungen sind somit u.E. nicht als gegeben anzusehen. Es findet zudem eine Nivellierung der standörtlichen Bedingungen statt, was ebenso als Beitrag zur Vernichtung der regionalen Artenvielfalt anzusehen ist. Die Standorte von Sandäckerfluren der Hardt werden also im Gebiet zum einen Teil überbaut, zum anderen unter dem aufgebrachten Oberboden beerdigt.

Artenschutz

Die letzten avifaunistischen Erfassungen fanden ausweislich der vorgelegten Unterlagen im Jahr 2020 statt. Inzwischen wurden aber durch den Bewirtschafter in den Folgejahren so genannte Feldlerchenfenster angelegt. BUND, LNV und NABU gehen davon aus, dass diese Maßnahme zielgerichtet aufgrund bestehender Potenziale durchgeführt wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Maßnahmen erfolgreich waren und durch die Planung Reviere der Feldlerche beansprucht werden sollen. Eine Aktualisierung der Erfassung der Avifauna insbesondere in Bezug auf die Feldlerche ist also zwingend geboten.

Abbildung: Luftbild 2020 – städtisches Geoportal

Zur Ökopunktebilanz

Insgesamt werden der im B-Plan berücksichtigten Fläche über 3 Millionen Ökopunkte zugeordnet, die im Umweltbericht rechnerisch ausgeglichen werden sollen. Es ist bei einem derart großen Vorhaben kaum nachvollziehbar, dass der Ausgleich im Geltungsbereich mit nur 2 Maßnahmen außerhalb gelingen kann. Einige Aspekte können wir auf Basis der Unterlagen nicht nachvollziehen und bei den u. g. Themen haben wir Klärungsbedarf. Wir bitten um Übersendung einer Karte im Planzustand mit Angabe der Biotope äquivalent zur Bestandskarte Schutzgut Tiere und Pflanzen im Umweltbericht. Beispielsweise ist die Lage der Magerwiese mittleren Standort [33.43] nicht in den Unterlagen zu finden.

Dachbegrünung

Die angegeben 86.000 m² für die Dachbegrünung sind zu hoch angesetzt. Es ist unklar, wie sichergestellt werden kann, dass die angegebene Fläche 1.) ohne Kenntnis der tatsächlichen Bebauung auch tatsächlich komplett zur Verfügung steht, 2.) es keine Konkurrenzsituation mit PV-Elementen gibt, die der Begrünung entgegenstehen und 3.) dauerhaft wie angegeben begrünt wird. Auch wenn hier rechnerisch ein Ausgleich geschaffen wird, ist es aus den o. g. Gründen absehbar, dass dies so nicht in dieser Höhe eintreten wird. Dies ist in der Bilanzierung zu berücksichtigen.

Zielzustand

Grünflächen im Bereich des neuen Bebauungsplan sind zahlreichen Beeinträchtigungen ausgesetzt: Lärm, Licht, Vermüllung, Isolation… Bei der Bewertung der Flächen über Ökopunkte sind diese Beeinträchtigungen in der Bilanzierung zu berücksichtigen.

Ausgleichsmaßnahme A7

Zitat „Im Zuge von Ausgleichsmaßnahmen soll der Bereich zu einem Erlenbruchwald entwickelt werden. Dazu ist die Entnahme des Pappelbestandes vorgesehen. Dabei sollten einige Bäume in ca. 5 m Höhe gekappt und als stehende Totholzbäume Spechten und Fledermäusen Besiedlungsmöglichkeiten bieten. Nach erfolgter Beseitigung der Pappeln soll die gesamte Ausgleichsfläche mit Schwarz-Erlen bepflanzt werden.“
Es ist nicht ersichtlich, inwiefern eine Erfassung durchgeführt wurde, inwiefern die bestehende Pappelbestockung durch Höhlen oder sonstige Strukturen artenschutzrechtlich oder naturschutzfachlich als schutzbedürftig anzusehen ist. Wir bitten um Auskunft: Gibt es eine Erfassung von Höhlen oder anderen Habitatstrukturen? Gleichwohl sind Konflikte mit der Verkehrssicherung zukünftig nicht auszuschließen. Es stellt sich also zum einen die Frage, ob hier nicht eine ohnehin über kurz oder lang erforderliche Verkehrssicherungsmaßnahme als Kompensation bezahlt werden soll. Zum anderen ist unklar, inwiefern überhaupt eine Aufwertungsbedürftigkeit besteht, ob nicht der Pappeleinschlag als solcher sowohl in Bezug auf Eingriffsregelung oder Artenschutz negativ zu bilanzieren wäre.

Die Neubestockung der Fläche mit Schwarzerlen ist unseres Erachtens im Falle eines (kritisch zu sehenden) Einschlags der Pappeln als Handeln gemäß § 14 Landeswaldgesetz anzusehen, nämlich „einen biologisch gesunden, standortgerechten Waldbestand […] oder zu schaffen“. Das hieße hier allerdings Neuschaffung nach vorheriger Zerstörung eines gewachsenen Bestands. Gleichwohl ist eine solche Maßnahme, nämlich die Umsetzung einer rechtlichen Verpflichtung, nicht als Kompensationsmaßnahme anerkennbar.

Weiterhin ist hier insbesondere infrage zu stellen, inwiefern die Beseitigung eines Schilfröhrrichts den Anforderungen der Aufwertungsfähigkeit und insbesondere der Aufwertungsbedürftigkeit entspricht.

Insgesamt ist eine umfassende Überarbeitung und Ergänzung der Eingriffsbewertung und der Kompensationsplanung erforderlich!

Landwirtschaftliche Flächen

Auf den Verlust von landwirtschaftlichen Flächen wird gemäß unserer Durchsicht an keiner Stelle eingegangen. Das Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat das Ziel ausgegeben, landwirtschaftliche Flächenverluste so weit wie möglich zu reduzieren. Idealerweise sollte die vorhandene landwirtschaftliche Fläche vollständig und nutzbar erhalten werden, so wie in der Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie festgelegt.
Im vorliegenden Fall wird angegeben, dass die Schutzgüter über die Ökopunktebilanz rechnerisch ausgeglichen sind. Jedoch wird der Verlust der landwirtschaftlichen Flächen und die damit einhergehenden Folgen nicht bewertet. Die Bodenfunktion von Ackerböden beinhaltet neben der Erzeugung von Lebensmittel oder Futterpflanzen auch die klimawirksame Speicherung von Kohlenstoff.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte halten wir die Ökobilanz für nicht ausgeglichen.

Klima

Der Umweltbericht geht davon aus, dass die Bebauung „eine stärkerer Erwärmung des Geltungsbereichs sowie eine verminderte Abkühlung der bereits bebauten Flächen am nördlichen Ortsrand von Neureut nach sich ziehen wird“ (S. 45). Trotz unserer Nachfrage während der Trägerbeteiligung 2021 werden weiterhin nur qualitativ einige Aspekte benannt, die als günstig hinsichtlich des Lokalklimas erachtet werden. Eine Bewertung der negativen Effekte als Folge der fast vollständigen Entnahme des Ackerbodens und der Versiegelung von insgesamt 16 ha Fläche wurde weiterhin nicht durchgeführt. Zudem fehlt ein Nachweis der Wirksamkeit der als positiv genannten Maßnahmen, z. B. ist uns die Klimawirksamkeit eines dachbegrünten Flachdaches nicht bekannt, wenn es pflichtgemäß mit Photovoltaikanlagen ausgestattet ist.

Wir hätten hier erwartet, dass eine Klimastudie durchgeführt wird, die eine quantitative Ermittlung der Temperaturerhöhung zum Ergebnis hat, so wie dies bei den meisten größeren Bebauungsplänen vorgenommen wird. Damit ließe sich die Situation quantitativ bewerten. Im Hinblick auf die Erderhitzung (in Karlsruhe bereits 2°C Erhöhung) ist eine rein qualitative/verbale Argumentation mehr als fahrlässig. Die BewohnerInnen, insbesondere die älteren Menschen, in den angrenzenden Wohngebieten (u. a. Am Zinken) werden die Folge der Bebauung am eigenen Leib erfahren. Im Sommer 2019 gab es in Deutschland 47 % mehr hitzebedingten Todesfälle als im Zeitraum 2000-2005 2. Im den Sommern 2018 bis 2022 wurden über 20.000 Tote durch Hitze registriert 3.

Wir sehen die Stadt in der Verantwortung Maßnahmen zur Reduktion der Hitzebelastung durchzuführen, dieser Bebauungsplan geht in die entgegengesetzten Richtung. Wir erwarten von der Stadt die quantitative Aussage, wie sich die Temperaturen in den angrenzenden Wohngebieten durch die Bebauung erhöhen wird. Zur Kompensation halten wir geeignete Maßnahmen zur Reduzierung dieser Temperaturen für unerlässlich.

März 2024

 

1 LUBW 2012: Das Schutzgut Boden in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/70430

2 de.statista.com/statistik/daten/studie/1240429/umfrage/-hitzebedingte-uebersterblichkeit-in-deutschland/

3 www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/42/Art_01.html